dimanche 20 juin 2010

"Werden Sie nicht zum Henker!"

Mit dieser Aufforderung wurden Abgeordnete in der letzten Woche gleich hundertfach eingedeckt. Die Absender wandten sich an uns mit derselben Botschaft in unterschiedlichen Sprachen. Sie möchten, dass wir gegen die Gesetzesvorlage zum Thema Schwangerschaftsabbruch stimmen. "Beschützer" sind Politiker, die Abtreibungen in jeder Form verbieten. Als "Henker" werden alle anderen abgestempelt.

Ein Gesetz über den Schwangerschaftsabbruch gibt es in Luxemburg seit 1978. Mit seiner jetzigen Gesetzesvorlage, die dem Koalitionsabkommen zwischen der CSV und der LSAP entspricht, schlägt Justizminister François Biltgen hauptsächlich zwei Veränderungen vor.

1) Es bleibt bei einer Indikationslösung, doch wird diese ausgeweitet. Das bedeutet, dass auch weiterhin in Luxemburg niemand - auch nicht die werdende Mutter - willkürlich über das keimende menschliche Leben verfügen darf. Wer sich für den Schwangerschaftsabbruch entscheidet, muss wichtige Gründe geltend machen. Diese können medizinischer, psychischer und künftig auch sozialer Natur sein.

2) Die letzte Entscheidung liegt allein bei der Mutter. Allerdings führt die Gesetzesvorlage für die Mutter ein obligatorisches "Beratungs"-Gespräch ein. "Berater" sind dem Gesetz entsprechend geschulte Fachleute, die andere bei ener wichtigen Entscheidungsfindung respektvoll begleiten. Sie laufen nicht vor, sie werten nicht, sie treffen keine Entscheidungen für andere, sie machen keine Vorhaltungen und sind keine Besserwisser. Sie helfen anderen, autonom, frei und verantwortungsbewusst abzuwägen und selbst zu entscheiden. Die einzig massgebliche Instanz dabei ist das persönliche Gewissen des/r Einzelnen. Beratung wird gewissermassen zum "Rendez-Vous" mit sich selbst.

Es ist für mich erstaunlich, dass nun das Beratungsgebot für viele zum Stein des Anstosses wird.

Die einen werfen Minister Biltgen vor, er wolle Frauen "entmündigen". Seit Jahren weiss ich aus meiner Berufserfahrung heraus, wie bei Schwangerschaftsproblemen betroffene Frauen häufig massiv unter Druck gesetzt werden, einem Schwangerschaftsabbrch zuzustimmen: von Partnern, Eltern, Ärzten und Sozialarbeitern. Selbst wenn ich davon ausgehe, dass diese "Nächsten" es in aller Regel "gut" meinen und nur das "Beste" wollen, werden genau hier viele Frauen für nicht vollgenommen, werden sie entmündigt und gegängelt. Die Frage, wie später Frauen mit nicht gewählten Abtreibungen seelisch fertig werden, darf in der Debatte nicht unterschlagen werden.

Die fleissigen Mail-Schreiber der letzten Woche tun die Beratung als "Feigenblatt" ab. Für sie werden mit dem neuen Gesetz gewissermassen Tötungsfreischeine ausgestellt. Ich stimme gerne zu, dass das Leben - besonders das menschliche Leben - nicht zum "Spiel" werden darf. Doch darf auch die gesellschaftliche und politische Debatte darüber nicht zum bösen Wortspiel ausarten. Das Leben hat viele Facetten, Elemente, Aspekte, die es zu fördern und zu schützen gilt. Die Lebensnot ungezählter Menschen kennt Schatten, von denen viele Wohlmeinende nichts ahnen. Das Beratungsgebot legt die Lebensentscheidungen in die Verantwortung der zuerst Betroffenen. Sie legt hierfür einen Rahmen fest: die Auseinandersetzung mit sich selbst, mit seinen Fragen, Sorgen, Ängsten, Ansprüchen, Werten und Idealen. (Ich freue mich im übrigen, Mitglied einer Glaubensgemeinschaft zu sein, die die persönliche Gewissensentscheidung sehr ernst nimmt.)

Wenn es um Leben und Tod geht, tun wir uns miteinander nicht leicht. Dies ehrt uns. Wir denken, fühlen, werten und entscheiden unterschiedlich. Dies erfordert in der offenen Gesellschaft politische Kompromisse. Diese können wir nur erarbeiten im Geist des Respekts und der Gelassenheit.

Ich wünsche uns diese Haltung - nicht zuletzt im Interesse der Frauen, deren Schwangerschaft sie mit schmerzlichen Fragen belastet.

Schoos, 20. Juni 2010.

Mill Majerus



Aucun commentaire:

Enregistrer un commentaire