mercredi 11 août 2010

Mutter Courage

Sie heisst Anni, und das Leben hat sie nie verwöhnt. Aber sie hat ihr Herz dort, wo es hingehört. Sie weiss, was richtig ist und falsch. Und sie respektiert diesen einfachen Lebenskodex: offen, ehrlich, mit Wärme.

Anni hat das, was vielen weit aus "vornehmeren" und sich selbst als tüchtig ansehenden Mitmenschen abgeht: Zivilcourage. Sie steht ein, für das, woran sie glaubt, was wahr und richtig ist. Sie tut dies mit Festigkeit, gradlinig und konsequent. Obschon sie für die Ihren durchs Feuer geht, werden dabei auch die Ihren nicht geschont.

Wenn Anni sagt, was Sache ist, dann findet sie Gehör - selbst bei Politikern und Journalisten. Und das will was heissen.

Anni ist - formal gesehen - ein "Sozialfall". Doch ehrlich kennen Sie Sozialfälle ohne Schulden? Dieses Wunder schafft Anni. Dabei hat sie Humor. Beweis: ihre Mailanschrift. Mehr darf ich allerdings dazu nicht verraten. Anni ist vor allem ein Sonnenstrahl. Solche Menschen haben wir alle bitter nötig.

Seit 40 Jahren liebt Anni den Mann ihres Lebens, ihren "Heng". Seit Jahren ist Heng angewiesen auf die liebevolle und aufopfernde Pflege seiner Anni. Am letzten Freitag nun ist Heng gestorben. Ich glaube Anni würde alles geben, ihn weiterversorgen zu dürfen. Dies noch unezählte Jahre! Wir haben versucht sie, zu trösten. Das einzige Argument, das (vielleicht) griff, war die Überlegung, wie Heng es denn ohne Anni hätte schaffen können. Dass es bei allem Unglück doch ein Segen ist, dass der seit Jahren schwerkranke Gatte als Erster gehen durfte.

Ich bedanke mich bei allen, die Anni in diesen bitteren Tagen trösten, stützen, aufrichten, bei sich aufnehmen, ihr Respekt zollen und sie anerkennen. Dazu gehören Tochter und Brüder, alte Freundinnen unter den Elisabetherinnen und den Sozialarbeiterinnen. Dazu zählen auch ein toller Arzt, den ich an Hengs Totenbett schätzen gelernt habe (Dr. Marco Klop) sowie sein Pflegeteam in der Zithaklinik.

Ich hoffe, dass dazu auch Annis Nachbarn zählen werden. Bösartiger Tratsch erstickt das, was wir wohl alle schätzen und brauchen: gute Nachbarschaft.

Liebe Mutter Courage: Kopf hoch! Und nicht vergessen: Anni braucht jetzt endlich auch mal Anni! Also: sich selber nicht vergessen und sich den Luxus leisten, sich selbst gut zu sein.

Schoos, 11. August 2010.

Mill Majerus

mardi 10 août 2010

Beirut mit trüber Prognose?

Ich bin mit tollen Vorurteilen hingeflogen. Weil Simone seit 40 Jahren schwärmt von diesem gelobten Land. Doch inzwischen gab es den Bürgerkrieg. Und es drohen weiterhin Terror und Gewalt.

Doch bleiben wir vorerst am Boden. Auf der Fahrt ins Stadtzentrum werde ich von einem offiziell zugelassenen Taxifahrer nach Strich und Faden ausgenommen. Ich verliess mich auf ein nicht existierendes Taxometer und auf gängige Umgangsnormen mit Reisenden. Wer im "gelobten Land" die Preise nicht vorher aushandelt, ist selber Schuld.

Den ersten Abend verbringen wir in einem Restaurant mit internationalem Flair im Stadtzentrum. Ich staune über zweierlei: die Preise (sie sind Ölscheich artig) sowie die allgegenwärtige Ploizei mit ungezählten Absperrungen.

"Vive la clim!" Es kühlt auch nachts nicht ab, und es ist vor allem feucht hitzig. Der portugiesische Kollege und ich schwitzen die Hemden draussen rasch durch. Liegt sicher auch - bei uns beiden - an überflüssigen Pfunden um die Hüften.

Chancengleichheit für Frauen und Männer, so das Thema von zwei Seminaren für Abgeordnete aus unterschiedlichen arabischen Staaten. Einmal mehr bewundere ich die Zivilcourage von Frauen, die es wagen, patriarchalische Strukturen zu hinterfragen, allgemein hingenommene Gewalt gegen Frauen zu denunzieren, politische Reformen zu fordern. Die wenigen männlichen Teilnehmer, Abgeordnete und Senatoren, verteidigen bestehende Systeme und zögern nicht, dabei islamische Glaubensdogmen zu bemühen. Obschon das libanesische Parlament Mitorganisator ist, glänzen die Kollegen/innen aus Beirut durch arrogante Abwesenheit.

Ein Land, das Reiches zu bieten hat, sich aber verschliesst. Jugendliche, die Ausländer offen anfeinden. Rabiate Autofahrer, die Verkehrsregeln grunsätzlich missachten. Vernachlässigte Kulturorte. Dazu drohende Terroranschläge seitens fanatischer Untergrundkämpfer, die demokratischen Ansätze ersticken.

In diesem Land Libanon bin ich tollen Menschen begegnet, Frauen und Männern, vor allem aber Frauen. Unter ihnen eine Frau, die unschuldig zum Tod verurteilt wurde, im Gefängnis gefoltert und vergewaltigt wurde. Sie - diese tollen Menschen - stehen für Offenheit, Wärme, Authentizität. Sie sind das farbige Licht in einer trüben Geamtatmosphäre.

Ich wünsche, dass sie es schaffen, viele für sich zu gewinnen. Ich meine, einmal mehr wird es dabei von mutigen Frauen abhängen - Frauen mit und ohne Schleier, Frauen, die mutig reden und fest zupacken.

Schoos, 10. August 2010.

Mill Majerus